Die Geschichte des Strickens – ein Buch ohne Anfang - Pascuali

Die Geschichte des Strickens – ein Buch ohne Anfang

Wenn man sich mit der Geschichte des Strickens befasst wird schnell klar, dass diese zwar ganz viele Kapitel hat – die ersten aber fehlen. 
Über die „Geburtsstunde“ des Strickens, über das wie und vor allem wann, gibt es nur Mutmaßungen. 
Fest steht jedoch: Stricken ist eine sehr alte und sehr bedeutsame Kulturtechnik, denn neben gewebten sind gestrickte Stoffe aus unserem Alltag nicht mehr wegzudenken.
Patentstricken – Next Level Du liest Die Geschichte des Strickens – ein Buch ohne Anfang 8 Minuten Weiter Pascuali im Porträt - Paul

Von Claudia Ostrop

Wenn man sich mit der Geschichte des Strickens befasst wird schnell klar, dass diese zwar ganz viele Kapitel hat – die ersten aber fehlen. 
Über die „Geburtsstunde“ des Strickens, über das wie und vor allem wann, gibt es nur Mutmaßungen. 
Fest steht jedoch: Stricken ist eine sehr alte und sehr bedeutsame Kulturtechnik, denn neben gewebten sind gestrickte Stoffe aus unserem Alltag nicht mehr wegzudenken. Schließlich sind ein T-Shirt oder ein Sweatshirt, ebenso wie ein Großteil unserer Unterwäsche nichts anderes als (maschinen-)gestrickt. Nehmt z.B. das Wort „Trikot“ – es leitet sich vom französischen „tricoter“, also stricken, ab! 
Auch wenn sich die genaue Entstehungsgeschichte der Strickerei von den Anfängen in grauer Vorzeit bis zum trendigen Hobby dieser Tage nicht aufklären lässt, möchten wir euch heute zumindest einen kleinen Abriss der Geschichte unseres liebsten Zeitvertreibs vermitteln.

Auf der Suche nach ersten Strickereien

Würde man manchen Quellen Glauben schenken, wäre das Stricken schon Hunderte Jahre vor Christi Geburt erfunden worden. Dafür gibt es allerdings keine Beweise – was nicht verwunderlich ist, denn textile Fasern – seien sie nun tierischer oder pflanzlicher Herkunft – überdauern die Jahrtausende nicht so ohne Weiteres. Sie unterliegen einem natürlichen Zersetzungsprozess und sind irgendwann einfach weg.

Die wohl ältesten „Beweisstücke“ stammen aus Ägypten: In der Sammlung des Victoria & Albert Museums in London befindet sich ein Paar Socken, das aus dem 3. bis 5. Jahrhundert nach Christus stammt – Zehensocken, die sich gut in Sandalen tragen ließen. Das British Museum, ebenfalls in London, hat in seinem Bestand eine gut 1.700 Jahre alte Kinder-Ringelsocke. Archäologen fanden sie (schon vor rund 100 Jahren) auf einer Art Müllhalde der antiken Stadt Antinoupolis. (Bild-Quelle: Tabi (hosiery).jpg - Wikimedia Commons / Titel: tabi / Artist: D. Ring)

Nadelbinden als Vorläufer des Strickens

Bei den Sockenfunden ist eins gemein: Sie wurden genaugenommen gar nicht gestrickt. Hergestellt wurden sie in der Technik des Nadelbindens, auch Koptischer Stich oder Koptische Bindung genannt. Diese Technik ähnelt eher dem Nähen als dem Stricken. Einzelfäden werden durch das Öhr einer Nähnadel gezogen und das Garn dann in einer Reihe von Schlingen rundherum miteinander verbunden. Die Fäden werden im Prinzip miteinander verknotet und ergeben ein stabiles und dichtes Gewebe. 
Neben den Funden im alten Ägypten gibt es auch zahlreiche Belege dafür, dass auch die Wikinger in Dänemark Textilien mit der Technik des Nålbinding hergestellt haben. 

Das Nadelbinden ist eine verhältnismäßig zeitaufwändige Herstellungsweise, und Weiterentwicklung dieser Technik angesehen werden kann.

Aus dem Nahen Osten nach Europa und anderswo

Einige Forscher halten den Fund eines knöchernen Nadelpaares aus der Zeit der Spätantike sowie eiserner Nadeln aus dem 6. Jahrhundert nach Christus für Hinweise auf Stricken, wie wir es heute noch kennen. Dies ist aber sehr vage zu halten, denn die ältesten Strickereien, die gefunden wurden, stammen aus der Zeit des Frühmittelalters.  Es gibt einfach zu wenig Fundstücke, mit denen sich Aussagen über die (Strick-) Zeit davor ableiten lassen. 

Einig sind sich die Forscher mittlerweile darin, dass das Stricken seinen Ursprung in der arabischen Welt hat. Die Araber brachten diese Technik über die Seidenstraße nach Italien und Spanien, und von dort breitete sie sich ins restliche Europa aus.

Funde von gestrickten Kissenbezügen aus dem ausgehenden 13. Jahrhundert deuten darauf hin, dass die spanischen Mauren das Stricken als regelrechte Kunstform pflegten. Aus dem 14. Jahrhundert datiert die erste Darstellung einer strickenden Madonna. Um 1410 entstand das Bild einer Madonna, die mit vier Rundstricknadeln an einem Strickstück arbeitet, dass an einen kurzärmeligen Pullover erinnert. Oder soll es ein Gewand für das Jesus-Kind sein?  Dieses Motiv ziert den Marien-Altar der Petri-Kirche im norddeutschen Buxtehude.

Überhaupt spielte Gestricktes in der Kirche schon früh eine Rolle: Vermutlich ab dem 9. Jahrhundert wurden für die liturgischen Abläufe in Gottesdienstes Fingerhandschuhe genutzt – in früher Form nadelgebunden, ab dem 13. Jahrhundert „richtig“ gestrickt. Sie waren zumeist aus Seide oder Leinen und zudem üppig bestickt. 

(Bild-Quelle: KnittingMadonna.jpg - Wikimedia Commons / Titel: KnittingMadona / Artist: Master Bertram))

Stricken als Handwerk

Im Jahr 1268 wird in Paris erstmalig die Gilde (gewerblicher) Stricker erwähnt. In Spanien und den Niederlande entstanden Strickgilden im 15. Jahrhundert. Für Deutschland findet sich ein erster Beleg für gewerbliches Stricken in Nürnberg, wo im späten 16. Jahrhundert die Hosen- und Strumpfstricker beurkundet wurden: Nachdem sich Anfang des 16. Jahrhunderts in Europa der Strumpf in der Mode des spanischen Hofes durchgesetzt hatte, wurden Strümpfe zu einem vielgestrickten Artikel.

Im Laufe des Hoch- und Spätmittelalter entwickelte sich das Stricken zu einem anerkannten Handwerk. Anfang des 16. Jahrhunderts zählten die Stricker zu den sechs wichtigsten Handwerkergilden in Paris. Dieser Status lässt sich vermutlich auf die seinerzeit hohe Popularität von möglichst figurbetonten Hosen in der Männermode zurückführen.

Ein englischer Pfarrer konstruierte Ende des 16. Jahrhunderts eine Strickmaschine für Strümpfe: Königin Elizabeth I. verbot diese aber, weil sie um die Arbeitsplätze
der vielen Handstricker fürchtete. Pfarrer Lee versuchte sein Glück daraufhin in Frankreich – sein dortiger Erfolg gilt als Vorbote der Mechanisierung, die später die Industrielle Revolution einläutete. Um die Gewerke der Mützenstricker zu unterstützen, gab es – ebenfalls in England – im Jahr 1571 den so genannte „Cappers Act“, mit dem das Parlament jeden englischen Bürger über sechs Jahren und unterhalb des Ranges eines "Gentleman" an Sonn- und Feiertagen verpflichtete, eine Mütze aus englischer Wolle, die in England hergestellt worden war, zu tragen!

In den Gilden und Zünften war Stricken zunächst ein Männerhandwerk. Um Mitglied der Straßburger Handstricker-Gilde werden zu dürfen, verlangte man eine dreijährige “Ausbildungszeit”! Die Anwärter mussten zudem Meisterarbeiten anfertigen, mit denen sie ihre Fertigkeiten unter Beweis stellen sollten – u.a. eine Mütze, eine Wolljacke, ein Paar Fingerhandschuhe und einen geblümten Wandteppich.

Verbreitung des Strickens weltweit

Vom Nahen Osten aus brachten die Araber das Stricken nach Europa. Europäische Auswanderer sorgten dafür, dass auch in Amerika diese Kulturtechnik früh Einzug hielt. In Japan indes war das Stricken lange Zeit nahezu unbekannt. Erst Mitte des 19. Jahrhunderts wurde dieses Handwerk von Ausländern bekannt gemacht. Mit zunehmender Öffnung des Landes wurde Stricken immer mehr Japanern bekannt und konnte zu Popularität gelangen. Auch in China verhielt es sich ähnlich. Die Technik des Strickens wurde dort durch importierte Strümpfe und Unterwäsche bekannt.

Stricken als Zeitvertreib – und als Notwendigkeit

Mit abnehmender Bedeutung von Stricken als Kunst, und je mehr die gefertigten Textilien zu Alltagsgegenständen wurden, desto mehr strickten nun auch Frauen, um Geld zu verdienen. Als im 18. Jahrhundert die Mechanisierung ihren Lauf nahm und zunehmend mehr maschinell gefertigte Strickwaren auf den Markt kamen, wurde die „Lohnstrickerei“ weitestgehend verdrängt.

Stricken wurde dafür im Lauf der Jahre zum Zeitvertreib der gehobenen Gesellschaft. „Fancy knitting“ war z.B. in England des 18. und 19. Jahrhundert ein beliebter Zeitvertreib gutsituierter Damen, die ihr Können und ihren Geschmack an allerhand Ziergegenständen wie reich verzierten (Nadel)kissen unter Beweis stellten. Die Vorläufer heutiger Frauenmagazine boten allerhand Inspiration.

Während und nach den beiden Weltkriegen Anfang und Mitte des 20. Jahrhunderts bekam das Stricken wieder eine zunehmend praktische Bedeutung. Man konnte für sich selbst und die eigene Familie stricken, um warme Bekleidung zu haben. Ebenso das Einkommen aufbessern – aber auch für Soldaten an der Front wurde gestrickt.

Stricken heute

Nachdem sich in der Mitte des vorigen Jahrhunderts die weltpolitische und die wirtschaftliche Lage wieder beruhigt hatten und es Kleidung von der Stange ganz selbstverständlich zu kaufen gab, besonnen sich viele Frauen auf ihre Handarbeits- und natürlich auch Strickkenntnisse. Das Aufkommen von Frauenzeitschriften mit zahlreichen Inspirationen ließ Stricken wieder mehr zu einem Zeitvertreib als zu einer Notwendigkeit werden.  Einen Riesenboom erlebte das Stricken in den 1980er Jahren. 
Aktuell befinden wir uns wieder ganz oben auf der Strickwelle – nicht zuletzt das Internet und die damit verbundene wortwörtlich grenzenlose Verfügbarkeit von Strickanleitungen, Inspirationen und natürlich nicht zuletzt auch Garnen aller Art, haben dem Stricken wieder zu großer Popularität verholfen.

1 Kommentar

Lisa

Großartiger Einblick in die Geschichte des Strickens! Vielen vielen Dank!

Großartiger Einblick in die Geschichte des Strickens! Vielen vielen Dank!

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